Unser größter Ruhm liegt nicht darin, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen, wenn wir gescheitert sind.
Konfuzius
Schreibe dich ins Leben zurück
Narzisstischer Missbrauch ist eine der härtesten Erfahrungen, der man im Leben ausgesetzt sein kann. Ohnmacht, Wut, Scham, Schuld, Verzweiflung, Verwirrung…als dies sind Gefühle, die dich in diesem Moment möglicherweise überfluten. Fragen über Fragen, auf die du keine Antwort findest.
Neben dem oftmals auch äußerlich sichtbaren Ruin, finanziellen Verlusten, beruflichem Abstieg, sozialer Isolation, zerbrochenen Beziehungen, sind die schlimmsten Wunden jedoch die inneren: Das Gefühl, den Boden unter den Füßen verloren zu haben und ein verzweifeltes Bemühen, das Unverständliche zu begreifen, führen oft zu Gedankenspiralen, aus denen man nicht zu entkommen scheint. Und zu allem Überfluss reagiert die Gesellschaft auch noch verständnislos: „Nun komm endlich darüber hinweg!“, „So schlimm wird es schon nicht gewesen sein!“, „Das kann ich mir nicht vorstellen“ oder gar „Da gehören immer zwei dazu“, sind sehr häufige Reaktionen von Menschen, die die narzisstische Niedertracht niemals am eigenen Leibe erlebt haben.
Und schließlich zweifeln wir selbst an unserem Verstand. Kognitive Dissonanz, Traumabonding und das perfide Gaslighting – ein Lieblingsspiel von Narzissten und Psychopathen – haben dazu geführt, dass wir unseren eigenen Sinnen nicht mehr trauen. Und damit so manipulierbar geworden sind, dass wir uns selbst nicht mehr wiedererkennen.
Hier kann ich dich schon einmal beruhigen: Das, was dir passiert, ist völlig normal und wird auch wieder vergehen. Du teilst diese Gefühle mit vielen, vielen Menschen, die narzisstischem Missbrauch ausgesetzt waren und sind – in Beziehungen, Familien, am Arbeitsplatz, in sogenannten Freundschaften und in vielen Organisationen, in denen man es manchmal am wenigsten vermutet.
Und dabei warst du viel zu lange (der Zeitraum ist völlig egal, es ist immer viel zu lange) der seelische Mülleimer für eine oder mehrere schwer gestörte Personen. Man hat dich instrumentalisiert, dich verletzt, deine Empathie, deine Geduld, deine Menschlichkeit missbraucht. Und dir zu allem Überfluss die Lüge erzählt, all das hätte etwas mit dir zu tun.
Doch spätestens heute hast du den ersten Schritt getan und dich auf den Weg der Heilung begeben. Und dazu gratuliere ich dir.
Nun musst du zunächst beginnen, dich vor dem narzisstischen Einfluss zu schützen. Das ist deine allererste Aufgabe und die Basis dafür, dass du den Kopf wieder frei bekommst. Dann kannst du beginnen, deine Kraft, Selbstbestimmung und Lebensqualität Stück für Stück zurückzuerobern.
Hier kommt das Schreiben ins Spiel. Ich habe es an einem Tag ausprobiert, als wieder einmal so viele Fragen auf mich einstürzten, für die ich keine Lösung fand. Doppelte Botschaften, verwirrende Aussagen – ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Und manches wollte ich auch in diesem Moment einfach keinem Dritten von mir erzählen. Also setze ich mich hin und schrieb es auf. Gedanken, Gefühle, was immer mir durch den Kopf ging. Stand auf. Schaute mir meine Notizen noch einmal an. Setzte mich wieder und beschrieb alles aus einem anderen Blickwinkel. Und irgendwann lichtete sich der Schleier und ich begann, Dinge zu erkennen, die mir zuvor nicht bewusst waren. Fehlende Puzzleteile tauchten auf und machten das Gesamtbild klarer. Stellten es auch vom Kopf auf die Füße und gaben dem Ganzen endlich Sinn. Ich begann, zu verstehen, was passiert war. Ich verstand nach und nach, wie es dazu kommen konnte und was ich nun tun müsste… Ich konnte die Tür schließen und eine neue öffnen...
Der Schreibprozess ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit den Erlebnissen und bietet dabei auch einen ganz persönlichen Schutzraum. Du kannst dein Innerstes zum Ausdruck bringen und die Welt verständlicher machen, Distanz zu den Ereignissen gewinnen und sie reflektieren. Schließlich wirst du neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Seele und Verstand werden befreit. Du kannst wieder Kraft schöpfen, um dich auf das Leben in all seinen Facetten einzulassen.
Therapeutisches Schreiben bietet eine ganze Palette an Möglichkeiten:
Es hilft dabei,
- Narzisstischen Missbrauch zu erkennen
- Manipulationstechniken zu entkräften und sich adäquat verteidigen zu können
- Emotionalen Schmerz und Gefühle der Abhängigkeit zu überwinden und wieder handlungsfähig zu werden
- Selbstvertrauen und Vertrauen zurückzugewinnen
- das Geschehen in Ganzheit zu begreifen
- Angst, Schuld, Scham und Wut in den Kontext einzuordnen und loszulassen
- Selbstbewusstsein, Selbstliebe und Selbstachtung wiederherzustellen
- eigene Bedürfnisse wieder wahrzunehmen und für sie einzustehen
- Grenzen ziehen und verteidigen zu können
- den Alltag mit mehr Achtsamkeit, mentaler und emotionaler Stärke zu bewältigen
- Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen
Im Gegensatz zur Psychotherapie, die von einem Therapeuten begleitet wird und schwere Traumata behandelt, ist das therapeutische Schreiben für psychisch stabile Menschen gedacht, die bestimmte negative Erfahrungen verarbeiten möchten. Durch das Scheiben kannst du diese Erfahrungen in gesunder Distanz gedanklich ordnen, ausdrücken und besser verstehen.
Schreiben als Prozess der Selbsterkenntnis
Freiheit und Spontaneität sind beim therapeutischen Schreiben das A und O. Lasse dich nicht – wieder einmal – durch Regeln oder Vorgaben einschränken und achte nur auf dich selbst. Erlaube dir, spontanen Gedanken und Gefühlen zu folgen und diese in Worte zu fassen, die für dich stimmig sind. Vorkenntnisse brauchst du nicht.
Du kannst dir zum Beispiel ein unangenehmes Ereignis vornehmen und versuchen, dieses zu beschreiben. Dabei achtest du auf deine Gefühle, auf Worte, die ausgedrückt werden wollen, aber auch auf innere Widerstände. Welche Erkenntnisse gewinnst du daraus?
Möglicherweise kannst du bereits einen roten Faden erkennen – eine Haltung zum Leben, eine Art, Dinge zu betrachten und zu bewerten, die typisch für dich sind. Oder einen, der sich durch das Ereignis, das dich immer wieder beschäftigt, kontinuierlich zieht. Ich gratuliere dir dazu: Der Prozess des therapeutischen Schreibens hat bereits seine Wirkung entfaltet.
„Ich spüre da etwas, aber ich kann es nicht greifen“, sagte S. zu mir. „Ich verstehe mich selbst nicht.“ Zum Glück hatte er sein Notizbuch dabei. Ich bat ihn, eine halbe Seite lang alles aufzuschreiben, was ihm in den Sinn kam. Dann das ganze mit der anderen Hand zu wiederholen, achtete auf Worte, die sich wiederholten, ungewöhnliche, sprechende Bilder. Wir fingen an, an diesen Stellen zu graben. Tiefer und tiefer und gaben seinem Unterbewusstsein die Gelegenheit, sich in seiner Zeit zu öffnen. Worte, Symbole, Pfeile machten Verbindungen sichtbar, die verdrängt und scheinbar vergessen waren. Alte Überzeugungen kamen zum Vorschein, die ihn heute noch, Jahrzehnte später, steuerten und auch behinderten. „Das ist doch etwas Altes“, erkannte er nachdenklich. „Das hat doch gar nichts mehr mit mir zu tun.“ Diese Erkenntnis veränderte seinen Blick auf die Welt, schenkte ihm Freiheit und neue Kraft. Ganz selbstverständlich taten sich neue Möglichkeiten für ihn auf, dort, wo zuvor der Weg noch verstellt zu sein gewesen schien.
Es liegt in der Natur der Sache, dass du beim therapeutischen Schreiben traurige und verletzende Erfahrungen aufarbeitest. Doch auch das Schöne, das, was das Leben hell und freundlich macht, soll zu Wort kommen dürfen.
Schreiben als künstlerischer Prozess
Beim therapeutischen Schreiben finden die üblichen Maßstäbe, die an literarisches Schreiben gestellt werden, keine Anwendung. Nichtsdestotrotz trainierst du deine Schreibfähigkeit, kannst du deine Ergebnisse sammeln und eventuell an anderer Stelle künstlerisch weiterverarbeiten. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch ich habe schon autobiografische Erlebnisse und Erinnerungen in literarischen Geschichten verarbeitet und so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wichtig ist jedoch, dass du dich beim therapeutischen Schreiben erst einmal ganz und gar auf dich konzentrierst und dir keine Gedanken darum machst, was andere davon halten könnten.
Das erreichst du, wenn du regelmäßig schreibst
Jede Übung des therapeutischen Schreibens trainiert das Bewusstsein und die Selbstbestimmung. So kommst du Schritt für Schritt wieder zurück in deine Kraft und kannst das Ruder deines Lebens wieder selbst in die Hand nehmen. Durch eine Neubewertung der Ereignisse kannst du Grübelschleifen sprengen und dich von eventuellen Schuld- und Schamgefühlen befreien. Du bekommst neue Antworten und einen neuen Blickwinkel auf die Siutation. Dabei bist du völlig frei. Du kannst das Geschehene aus verschiedenen Perspektiven betrachten, die Ereignisse verdichten, verändern, beschleunigen, verlangsamen, mit den Geschehnissen spielen, so lange, bis sie dich nicht mehr belasten. So kannst du die Erfahrungen neu bewerten und in dein Leben integrieren. Selbst lange verdrängte Erlebnisse – können so behutsam wieder an die Oberfläche geholt, neu geordnet und endlich als vergangen begriffen und losgelassen werden. In der Psychologie bezeichnet man dies als Katharsis – sie kann kurz schmerzhaft sein, ist dann jedoch etwas ausgesprochen Befreiendes, das dir neue Energie für dein zukünftiges Leben gibt.
Nun kannst du deine Geschichte neu erzählen und einen kraftvollen Schlusspunkt hinter das Erlebte setzen. Der Blick wird frei für das Leben, das vor dir liegt. Du bist wieder der Protagonist oder die Protagonistin in deinem eigenen Leben.
Fang heute an.
Schreibe einen Kommentar